Sonntag, 4. September 2016

Art House - nein danke! Oder warum Verantwortung nichts mit Schuld zu tun hat

Verantwortung ist etwas anderes als Schuld. Dennoch fangen viele - mich NICHT an letzter Stelle eingeschlossen - an, wie wild um sich zu schlagen, wenn man sie auf ihre Verantwortung für bestimmte Dinge in ihrem Leben anspricht. 

Noch verworrener wird die Sache, wenn Menschen wie ich, die sich für das Glück und das Wohlbefinden der Menschen um sie herum auch noch verantwortlich fühlen, ihrer Wahrnehmung nach scheitern, diese Aufgabe nicht erfüllen, und das mit "schuldig werden" gleich setzen. Ziel verfehlt.

Und trotzdem merke ich, dass mir meine Krankheit immer wieder deutlich zeigt: "Lass das bleiben!" Ich wünsche mir doch einen engeren Zusammenhalt in meiner Kernfamilie. Und manchmal frage ich mich, was mit meiner Familie würde, wenn ich nicht als Kleber fungieren würde. Ich will mich da nicht als Opfer sehen, fühle mich da aber auch nicht frei zu entscheiden. Was für Konsequenzen hätte das? 

Gott, Du könntest das. Lieben ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Aber ich bezweifle, dass eine fragende WWJD-Einstellung da hilfreich ist. Aber da bist Du ja auch Gott. Und ich bin Mensch. Mir tut das weh. 

Und so gerate ich sehr unter Stress, wenn ich das Gefühl habe, die Einzige zu sein, von der Aktivität ausgeht. "Komm, lass uns mal..." ist zu häufig MEIN Text in diesem Stück. Und ich bitte andere diesen Satz zu übernehmen, damit ich auch mal eine Szene habe, in der ich schweigen kann. Wenn wir alle schwiegen, was wäre das für ein Stück? Art House? Das ist abgedrehte Kunst, aber kein Leben. 

Liedpredigt zu "Nichts ohne Grund" von Gregor Meyle im impuls:-Gottesdienst 03.09.2016

Die Gnade unseres Gottes ist mit euch allen!
 
Wir haben 100 Leute gefragt..., welche Frage stellt sich wohl jeder Mensch (egal, wo er herkommt, egal welchen Bildungsstand er hat und egal wie arm oder reich er ist), mindestens 1x in seinem Leben?“
Was glaubt Ihr, käme bei so einer Umfrage auf die ersten 5 Plätze?
Ihr habt nun 3min Zeit, 5 Fragen aufzuschreiben, von denen Ihr glaubt, dass sie bei so einer Umfrage ganz weit vorne landen würden.

(Ich lese meine Fragen vor. Alle die etwas haben, das in diese Richtung geht, heben die Hand.)

Warum passiert (mir) das (immer)?
Hat das einen Sinn?
Wer verdient es, glücklich zu sein?
Wie lebe ich richtig?
Wo komme ich her?
Wo gehe ich hin?

Singer-Songwriter sind ja weniger für ihre schmissigen und mitreißenden, weil so flachen Texte bekannt. Und Gregor Meyle scheint da ein guter Vertreter seiner Zunft zu sein. Er hat sich nämlich ausgerechnet eine dieser großen Lebensfragen geschnappt und sich mit diesem Lied an seinen Antworten darauf versucht. „Nichts ohne Grund“ ist die doppelte Negation von „Alles mit Grund“. Dahinter steckt offenbar die Überzeugung, dass alles, das wir tun, Folgen hat und unser Leben, wie wir es kennen und erleben mit all seinen Großig- und Kleinigkeiten, von etwas kommt, also das Resultat aus vielem ist, das vorausgegangen ist. Auf jedes Warum scheint es – so das Lied – eine Antwort zu geben. Was nicht bedeutet, das es leicht ist, sie zu finden.
Wie beantworten wir denn so ganz unwissenschaftlich und unreflektiert im Alltag diese eine große Frage?
Warum passiert das?“ Der Volksmund hat dafür Redensarten, die sich manchmal so tief in unser Bewusstsein prägen, das sie uns schon gar nicht mehr bewusst sind.
Welche Redensarten fallen Euch ein, wenn es darum geht, Dinge, die passieren, zu erklären?

Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort.“
Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied.“
Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.“
Der Teufel scheißt immer auf den selben Fleck.“
Es geschehen noch Zeichen und Wunder.“
Der ist aber auch vom Pech verfolgt.“
Das Glück ist mit den Dummen.“
Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.“
Die hat das große Los gezogen!“
Pech im Spiel, Glück in der Liebe.“
Glück und Glas, wie leicht bricht das.“
Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben!“
Das hast du dir jetzt aber auch mal verdient!“
Ich benutze im Alltag einige dieser Redensarten, aber wenn ich mal genauer darüber nachdenke, frage ich mich, glaube ich das, was ich da im Einzelnen sage, eigentlich?
Was glaube ich denn, wovon mein Leben bestimmt wird? (kurze Denkpause)
Zufall? Engel? Dämonen? Gott? Der Teufel? Segen oder Flüche? Mieses Karma? Die Waagschale der kosmischen Gerechtigkeit, die dafür sorgt, dass nicht zuviel Glück bei mir landet?

Mir geht es gerade nicht darum, diese Erklärungsmuster zu bewerten. Mir ist beim Lesen des Textes des Liedes von Gregor Meyle aber eines aufgefallen, dass mir etwas an seiner Anwort gefällt und dem entspricht, was ich in dem schönen Bibeltext entdecke: 
 
Meinen Blick auf das zu richten, was mein Tun und meine Haltung für Einfluss haben auf das, was in meinem Leben geschieht und wie ich Dinge bewerte.
Der eine Text ist aus einem urchristlichen Brief. Eigentlich geht es um´s Spendensammeln für Bedürftige. Aber ich lese diese Worte auch noch anders. Nehmen wir diesem Text mal seinen finanziellen Rahmen und gehen wir davon aus, dass man allerhand sähen kann: Liebe, Vertrauen, Vergebung, aber natürlich auch Zwietracht und Hass und Streit, Misstrauen, Neid, Stolz, … >> Und hört ihn nochmal: 2Kor9,6-8

"Das aber sage ich euch:
»Wer spärlich sät,
wird spärlich ernten.
Und wer reichlich sät,
wird reichlich ernten.«
Jeder soll so viel geben,
wie er sich selbst vorgenommen hat.
Er soll es nicht widerwillig tun,
und auch nicht,
weil er sich dazu gezwungen fühlt.
Denn »wer fröhlich gibt,
den liebt Gott«.
Gott aber hat die Macht,
euch jede Gabe mehr als aufzuwiegen.
So habt ihr in jeder Hinsicht und zu jeder Zeit
alles, was ihr zum Leben braucht.
Und ihr habt immer noch mehr als genug
für alle möglichen wohltätigen Zwecke."
Das bedeutet für mich: Ich ernte, was ich säe. Ich entdecke, was ich suche. Im Positiven wie im Negativen.
Wenn ich damit rechne, dass Menschen, die kaum Hochdeutsch sprechen können, dumm und ungebildet sind, werde ich keine Beweise für das Gegenteil entdecken.
Wenn ich glaube, dass Jugendliche unzuverlässig und egozentrisch sind, werde ich all überall rumhängende Jugendliche sehen, die nichts als ihr Smartphone im Kopf haben.
Wenn ich davon ausgehe, dass Onkel Horst sich auf der großen Familienfeier zum Deppen machen wird, wird das ziemlich sicher auch geschehen, allein schon deshalb weil ihn alle anstarren.
Ich war früher im Sport ne ziemliche Vollniete, weil ich mich vor dem Sprung über den Kasten schon immer davorknallen sah.
Das waren jetzt alles Negativbeispiele. Überlegt, was es für Euch bedeutet, sie ins Positive zu münzen:
Irgendwo habe ich mal gelesen: „Kinder finden Schätze, weil sie danach suchen.“
Wer reichlich sät, wird reichlich ernten. Jede Schuld, die wir vergeben, wird uns Vergebung auch von anderen bringen, weil wir dann mit an einer fehlertoleranteren Welt bauen.
Alles Gute, das wir tun, geht nicht ins Leere.
Leichtigkeit, die wir schenken, kommt meistens sogar sehr unmittelbar zurück. (Habt Ihr mal in der vollen S-Bahn gestanden und habt Leute angelächelt?)
Je offener ich bin, umso weniger Mauern werden mir den Weg versperren. Es sei denn ich rechne damit, dass meine Güte ausgenutzt wird. Dann werde ich all überall Beispiele dafür finden.
Gregor Meyle ist ehrlich: „Manchmal fällt es schwer, diesen Weg zu geh´n“, singt er.
Und ja! Es gibt ja keine Versicherung, die mir gewährleistet, dass meine Investitionen 1:1 zurückerstattet werden. Wir gehen in Vorschussleistung. Das ist unser Opfer:
Etwas zu geben, obwohl uns eigentlich nach etwas anderem wäre und obwohl ich mein Gutes in eine Black Box stecke und keiner sagen kann, was damit geschieht und dabei heraus kommt.
Einen Fremden um Hilfe bitten?
Mit meinem Hund zu einem Obdachlosen mit seinem Hund gehen?
Allein auf eine Party gehen und mich mit Unbekannten unterhalten?
Jemanden anlächeln, den ich auf den ersten Blick nicht sympathisch finde? Nicht weil es meine Christenpflicht ist, sondern weil ich glaube, dass meine Offenheit im anderen etwas bewirkt. Und dass sich Gott an dem, was daraus enntsteht für uns freut.
Dem Bettelnden am Straßenrand etwas geben, obwohl ich fest davon ausgehe, dass er es in Alkohol umsetzen wird? Nicht weil es meine Pflicht ist, sondern weil das Gefühl, genug zu haben und geben zu können und mein Zuwenden die Welt verändern. Und weil ich glaube, dass Gott sich an dem, was daraus entsteht für uns freut.
Warum versuchst Du es nicht mal?
Du wünschst Dir Gottes Segen in Deinem Leben? Glaube, dass Du schon gesegnet bist und Du wirst Segen entdecken. Das alte Hebräisch, in dem das Alte Testament zu großen Teilen niedergeschrieben wurde, kann uns da eine Hilfe sein: Denn es kennt keinen Unterschied zwischen Gegenwart und Zukunft. Das was sein wird, ist schon. Und es kennt keinen Unterschied zwischen dem, was ist und was sein könnte oder doch geschehen möge. Darum heißt der alte Aaronitische Segen, der uns so vertraut ist, eigentlich nicht: „Der Herr segne dich“, sondern „Der Herr segnet dich und er behütet dich.“

 So segnet Dich Gott, davon bin ich überzeugt. 

Amen.