Predigt
für den Buß- und Bettag der Evangelischen Jugend 18.11.2015
Hey,
Gott, Du Kackstiefel!
Was
soll das eigentlich? Und wo führt das hin? Hat das alles einen Sinn?
Ist da auch mal ein Ende in Sicht oder wird erstmal alles nur noch
schlimmer?
Wie
viele Bomben sollen noch hochgehen, wie viele Menschen erschossen
oder enthauptet werden?
Wie
viele Menschen kann, Europa – Deutschland – Hamburg noch
aufnehmen, ohne dass … Ja, WAS ?!?
Ohne
dass ich meinen Gartenzwerg nur einen Zentimeter verrücken muss?
Ohne
dass mein Grundstück an Wert verliert oder unsere Klassen zu voll
werden?
Ohne
dass der Islam einen geregelten Feiertag bekommt oder nicht nur
Häuser brennen, sondern auch Menschen?
Nein,
ich halte Dich nicht für schuld an der ganzen Sch-EISSE, aber es
gibt Dich doch, oder? Ich will glauben, dass es Dich gibt, dass es
Dich interessiert, was hier passiert. Und dann ist es Dir doch nicht
egal, dass ich manchen Tag am Rande stehe: am Rande meines
Verstandes, wenn ich versuche zu verstehen, WER die Schuld trägt an
60 Millionen Menschen auf der Flucht; am Rande meiner Verantwortung,
wenn ich begreife, dass jeder unnötig gefahrene Autokilometer, jedes
geschrottete und neu gekaufte Handy, jede für mich gemahlene
Kaffeebohne, jedes für mich gefütterte und geschlachtete Rind mit
an der Schuld trägt, warum 60 Millionen ihre Heimat verlassen haben.
Und
dann kommst Du mit diesem Schmarrn. (Bibel hochhalten.) Und da
schreibt ein Typ, der Dich gut zu kennen scheint: „Freuet euch! Und
immer wieder sage ich euch freuet euch!“ Ist der Zyniker? Was gibt
es denn da zu freuen? Das ist total unangemessen. Nach diesem
Wochenende? (Anschläge in Paris) Selbst Amazon trug Trauerflor und
wir Christen sollen Partyhütchen aufsetzen und tanzen?!? Und das am
Bußtag? Das kann doch nicht euer Ernst sein. ---
Freuet
euch... Ich will mich ja freuen. Ich will ja glauben. Ich glaube ja
schon. Ich glaube, dass Du alle Menschen liebst. Ich glaube, dass
alle Menschen zu Dir gehören und dass Du in jedem Menschen bist.
Daran kann ich mich freuen. Selbst jetzt. Selbst in dieser Zeit. Wenn
ich zur Ruhe komme, mich ausklinke aus der Hetze, mal offline bin und
atme, dann spüre ich Deinen Geist in mir und ich merke, dass ich ein
Herz habe, das schlägt, und dass ich Wurzeln habe, die mir Halt
geben und ein Rückgrat, das mich aufrichtet und mir einen offenen
Blick in die Welt gewährt.
Aber
erprobt wird dieser Halt erst, wenn mir Dinge nahe komme.
Afghanistan? Keine Ahnung, wie viele Vielfliegermeilen das von
Hamburg entfernt liegt. Ebensowenig mussten mich Eritrea, Kongo oder
Syrien bis vor Kurzen interessieren. Aber als die Leute anfingen, im
Mittelmeer zu ertrinken (da, wo ich als Kind schon drin gebadet
hatte), wurde es schon enger. Und nun sind diese Länder mir so nah,
dass ich die fremden Sprachen hören, ihr Essen riechen und ihren
Gesichtern Emotionen und bei manchen vielleicht sogar Namen zuordnen
kann. Es windet. Es stürmt. Das kann mich schon mal aus dem
Gleichgewicht bringen. Mein Halt wird auf die Probe gestellt.
Es
gibt nur drei Arten, wie ich auf Fremdes reagieren kann: mit Neugier
(so wie kleine Kinder es tun, wenn ihre Eltern sich nicht daran
hindern), mit Angst oder mit Aggression. Ich kann verstehen, dass
Menschen Angst haben.
Ich
kann verstehen, dass Menschen aggressiv werden, die einen oder sogar
mehrere liebe Menschen in Paris verloren haben. Mich macht dieser
Terror auch zornig. Zornig und traurig. Beides zugleich. Sonst kann
ich selten etwas mit diesen alten Rachegeschichten aus dem Alten
Testament anfangen, Gott. Aber jetzt wünsche ich mir manchmal Deinen
Zorn, der Familien vernichtet und ganze Städte verwüstet. Aber Du
sagst: „Mein ist die Rache.“ Und dann weiß ich nicht wohin mit
meiner Wut. Und wenn ich nichts kaputtschlagen darf und auch nicht
will, dann fange ich an, im Internet Kommentare und Gästebucheinträge
zu lesen und mir wird klar, wohin das führt, wenn wir versuchen
unsere Angst mit Aggression zu beruhigen. Und als ob Dein „Mein ist
die Rache.“ nicht schon reichte, kommt dann eben dieses „Freuet
euch!“, das mich erstaunlicherweise gar nicht mehr so ärgert. Es
fühlt sich besser an, dem Schwierigen die Leichtigkeit
entgegenzusetzen. Mich zu fragen, wie aus GEGENsätzen FÜRsätze
werden können.
Ich
will meine Angst mit meiner Neugier zusammen an einen Tisch setzen.
Die Aggression darf sich in der Wuthöhle abreagieren. Und dann, wenn
Angst und Neugier sich an einen Tisch setzen und nicht Tausende
anonyme, sondern 2-3 Flüchtlinge mit Namen zu sich einladen, kommt
Gott als Streitschlichter dazu und da durchströmt mich auf einmal
genau das, was wenige Verse später steht: „Ich kann alles durch
den, der mich stark macht.“ Gott, ist das geil! Und die Angst steht
plötzlich – nicht trotzig, nicht im Streit, sondern ganz entspannt
auf und geht, weil sie keinen Grund mehr hat, da zu sein.
Ja,
der Wind ist gerade keine sanfte Brise. Es ist Sturm in vielerlei
Hinsicht. Aber wenn wir es hinkriegen, uns trotzdem oder gerade jetzt
an dem zu freuen, dass Du uns liebst, Gott, dass Du für uns da bist
und uns Halt gibst, werden wir genau DAS spüren und uns trauen,
unserer Angst, unserer Neugier und Fremden mit Dir einen Tisch zu
decken und uns immer wieder davon überraschen zu lassen, was da
passiert. Das fällt mir nicht leicht, aber ich weiß, Du stehst uns
bei. Das ist voll gut. Danke, … Du Kackstiefel!
Amen.