Donnerstag, 3. Dezember 2015

Guten Tag, Frau MS! ICH HASSE SIE! --- gerade ...

Mein Herz kann sich nicht entscheiden zwischen Rasen und Stillstand. Ich will meine Fäuste ballen und gegen Wände hauen. Meine geliebte Kaffeetasse auf dem Boden zerschmettern. Scherben und Krach produzieren. Das ist besser als diese Traurigkeit. Mein Körper, aber noch mehr meine Psyche stimmen gerade ein jammervolles Klagelied an. Uha-uha-uhaaa... Aber ich will das nicht. Ich will da nicht mit einstimmen. 

ICH WILL GESUND SEIN!!! 
ICH BIN NICHT MEINE MS!!!

Ich mache zur Zeit endlich fast täglich Yoga, trinke Grüne Smoothies, ernähre mich seit drei Jahren vegan und gehe sogar wieder laufen. Soft. Unter 30 Minuten, aber das ist ein Anfang. Alle Ärzte haben immer gesagt: "Frau Pfaffner, Sie müssen mehr Sport machen!" Meine Arbeit macht mir Spaß. Nur eine halbe Stelle. Das ist gut. Endlich habe ich einen Ort für mich gefunden, wo ich etwas mitgestalten will und kann. Und nun ... reicht meine Kraft für ... NIX! Immer wenn die Schlagzahl sich auch nur minimal erhöht, steigt der Körper nach meiner Konzentrationsfähigkeit und meiner Psyche aus, winkt mir nach und sagt: "Renn du nur!" 

Ich wünsche mir, ein bisschen mehr so zu sein wie andere. So belastbar zu sein wie andere. Nicht immer aussteigen zu müssen. Und stattdessen habe ich das Gefühl, immer sonderbarer werden zu müssen, damit die MS Ruhe gibt. Muss ich wirklich Rohköstlerin werden, um meinem Körper so viel Gutes zuzuführen, wie er zum Gesundsein braucht? Es wird Weihnachten. Ich liebe es zu backen und zu kochen... Der Umstieg auf Vegan fiel mir nicht schwer. Aber noch ungewöhnlicher zu werden ... Keinen Alkohol mehr. Keinen (Industrie-)Zucker. Kein Getreide. Keine Hülsenfrüchte. Und, ach ja: KEINEN KAFFEE!

Vielleicht geht es genau darum, mir mein Anderssein zuzugestehen. Gnädig mit mir und meinen Bedürfnissen zu sein, die anders sind als die anderer. 

Vielleicht heiße ich darum so: JANINA. Das heißt:

GOTT IST GNÄDIG. Kannst Du mir das beibringen, Gott, bitte ...?




Samstag, 21. November 2015

Hey, Gott, Du Kackstiefel!


Predigt für den Buß- und Bettag der Evangelischen Jugend 18.11.2015

Hey, Gott, Du Kackstiefel!

Was soll das eigentlich? Und wo führt das hin? Hat das alles einen Sinn? Ist da auch mal ein Ende in Sicht oder wird erstmal alles nur noch schlimmer?
Wie viele Bomben sollen noch hochgehen, wie viele Menschen erschossen oder enthauptet werden?
Wie viele Menschen kann, Europa – Deutschland – Hamburg noch aufnehmen, ohne dass … Ja, WAS ?!?
Ohne dass ich meinen Gartenzwerg nur einen Zentimeter verrücken muss?
Ohne dass mein Grundstück an Wert verliert oder unsere Klassen zu voll werden?
Ohne dass der Islam einen geregelten Feiertag bekommt oder nicht nur Häuser brennen, sondern auch Menschen?
Nein, ich halte Dich nicht für schuld an der ganzen Sch-EISSE, aber es gibt Dich doch, oder? Ich will glauben, dass es Dich gibt, dass es Dich interessiert, was hier passiert. Und dann ist es Dir doch nicht egal, dass ich manchen Tag am Rande stehe: am Rande meines Verstandes, wenn ich versuche zu verstehen, WER die Schuld trägt an 60 Millionen Menschen auf der Flucht; am Rande meiner Verantwortung, wenn ich begreife, dass jeder unnötig gefahrene Autokilometer, jedes geschrottete und neu gekaufte Handy, jede für mich gemahlene Kaffeebohne, jedes für mich gefütterte und geschlachtete Rind mit an der Schuld trägt, warum 60 Millionen ihre Heimat verlassen haben.
Und dann kommst Du mit diesem Schmarrn. (Bibel hochhalten.) Und da schreibt ein Typ, der Dich gut zu kennen scheint: „Freuet euch! Und immer wieder sage ich euch freuet euch!“ Ist der Zyniker? Was gibt es denn da zu freuen? Das ist total unangemessen. Nach diesem Wochenende? (Anschläge in Paris) Selbst Amazon trug Trauerflor und wir Christen sollen Partyhütchen aufsetzen und tanzen?!? Und das am Bußtag? Das kann doch nicht euer Ernst sein. ---

Freuet euch... Ich will mich ja freuen. Ich will ja glauben. Ich glaube ja schon. Ich glaube, dass Du alle Menschen liebst. Ich glaube, dass alle Menschen zu Dir gehören und dass Du in jedem Menschen bist. Daran kann ich mich freuen. Selbst jetzt. Selbst in dieser Zeit. Wenn ich zur Ruhe komme, mich ausklinke aus der Hetze, mal offline bin und atme, dann spüre ich Deinen Geist in mir und ich merke, dass ich ein Herz habe, das schlägt, und dass ich Wurzeln habe, die mir Halt geben und ein Rückgrat, das mich aufrichtet und mir einen offenen Blick in die Welt gewährt.
Aber erprobt wird dieser Halt erst, wenn mir Dinge nahe komme. Afghanistan? Keine Ahnung, wie viele Vielfliegermeilen das von Hamburg entfernt liegt. Ebensowenig mussten mich Eritrea, Kongo oder Syrien bis vor Kurzen interessieren. Aber als die Leute anfingen, im Mittelmeer zu ertrinken (da, wo ich als Kind schon drin gebadet hatte), wurde es schon enger. Und nun sind diese Länder mir so nah, dass ich die fremden Sprachen hören, ihr Essen riechen und ihren Gesichtern Emotionen und bei manchen vielleicht sogar Namen zuordnen kann. Es windet. Es stürmt. Das kann mich schon mal aus dem Gleichgewicht bringen. Mein Halt wird auf die Probe gestellt.
Es gibt nur drei Arten, wie ich auf Fremdes reagieren kann: mit Neugier (so wie kleine Kinder es tun, wenn ihre Eltern sich nicht daran hindern), mit Angst oder mit Aggression. Ich kann verstehen, dass Menschen Angst haben.
Ich kann verstehen, dass Menschen aggressiv werden, die einen oder sogar mehrere liebe Menschen in Paris verloren haben. Mich macht dieser Terror auch zornig. Zornig und traurig. Beides zugleich. Sonst kann ich selten etwas mit diesen alten Rachegeschichten aus dem Alten Testament anfangen, Gott. Aber jetzt wünsche ich mir manchmal Deinen Zorn, der Familien vernichtet und ganze Städte verwüstet. Aber Du sagst: „Mein ist die Rache.“ Und dann weiß ich nicht wohin mit meiner Wut. Und wenn ich nichts kaputtschlagen darf und auch nicht will, dann fange ich an, im Internet Kommentare und Gästebucheinträge zu lesen und mir wird klar, wohin das führt, wenn wir versuchen unsere Angst mit Aggression zu beruhigen. Und als ob Dein „Mein ist die Rache.“ nicht schon reichte, kommt dann eben dieses „Freuet euch!“, das mich erstaunlicherweise gar nicht mehr so ärgert. Es fühlt sich besser an, dem Schwierigen die Leichtigkeit entgegenzusetzen. Mich zu fragen, wie aus GEGENsätzen FÜRsätze werden können.
 
Ich will meine Angst mit meiner Neugier zusammen an einen Tisch setzen. Die Aggression darf sich in der Wuthöhle abreagieren. Und dann, wenn Angst und Neugier sich an einen Tisch setzen und nicht Tausende anonyme, sondern 2-3 Flüchtlinge mit Namen zu sich einladen, kommt Gott als Streitschlichter dazu und da durchströmt mich auf einmal genau das, was wenige Verse später steht: „Ich kann alles durch den, der mich stark macht.“ Gott, ist das geil! Und die Angst steht plötzlich – nicht trotzig, nicht im Streit, sondern ganz entspannt auf und geht, weil sie keinen Grund mehr hat, da zu sein.
 
Ja, der Wind ist gerade keine sanfte Brise. Es ist Sturm in vielerlei Hinsicht. Aber wenn wir es hinkriegen, uns trotzdem oder gerade jetzt an dem zu freuen, dass Du uns liebst, Gott, dass Du für uns da bist und uns Halt gibst, werden wir genau DAS spüren und uns trauen, unserer Angst, unserer Neugier und Fremden mit Dir einen Tisch zu decken und uns immer wieder davon überraschen zu lassen, was da passiert. Das fällt mir nicht leicht, aber ich weiß, Du stehst uns bei. Das ist voll gut. Danke, … Du Kackstiefel!
Amen.

Dienstag, 13. Oktober 2015

Don´t build your house on a sandy land

Wir wollen ja gar nicht bauen, aber wir sehnen uns danach Wurzeln zu schlagen. Ich sehne mich danach, Nachbarschaft und Gemeinschaft zu leben. Traditionen zu entwickeln und eines Tages sagen zu können: "Mit denen haben wir das schon vor 20 Jahren gemacht!" Darum schaue ich in letzter Zeit wohl immer häufiger nach Häusern. Aber gegen die vielen anderen, die sich bei dem günstigen Zinsniveau gerade genau das Gleiche denken, ist das in Hamburg für Menschen unseres Budgets fast ein Ding der Unmöglichkeit. Darum bleiben wir hier - in unserem Haus zur Miete - und konnten uns das eine niedliche Haus in unserer Nachbarschaft nicht einmal ansehen, da wir kein Angebot ÜBER dem verlangten Preis machen konnten wie andere. Aber wer weiß, wozu es gut war. Es wäre kein Leben in Gemeinschaft, wie wir uns das eigentlich so sehr wünschen. Es wäre kein Schritt näher an die potenziellen Großeltern unserer potenziellen Kinder heran. Darum ... Gut so. Aber dennoch. Wurzeln, die es noch nicht gibt, sucht man ja eigentlich nicht, sondern gräbt sie dort ins Erdreich, wo man eben ist. Das will ich, aber dennoch fällt es schwer. In meiner Kirchengemeinde hier auf der Insel bin ich nie so richtig angekommen. Mein Fehler? Vielleicht kein Fehler, aber ganz sicher meine Entscheidung, dass diese Gemeinde so keinen Zu-Hause-Charakter haben kann und wird. 
Das Brüderfeierabendhaus in Bethel wird abgerissen. Wir waren beim Abschiedsfest dort. Dort waren viele, die mit diesem alten Haus genau das verbinden, wonach ich mich gerade sehne. Es soll wieder aufgebaut werden - als Mehrgenerationenhaus, das es ja immer schon war. Die Sehnsucht nach Bielefeld und diesem Haus ist groß, aber nur ich wäre bereit, dafür auf das Meer und Elbe/Weser zu verzichten.

Am Ende will ich geschrieben haben

Nun arbeite ich auf einer halben Stelle. Sie füllt mich aus und fordert mich überaus positiv. Das macht großen Spaß. Aber ich weiß, dass da diese andere Seite in mir ist, die auch gelebt werden will: Am Ende meines Lebens möchte ich geschrieben haben - Lebensgeschichten einfacher Menschen. Auch von Flüchtlingen, die sonst vielleicht nie eine Chance gehabt hätten, ihre Geschichte zu erzählen und öffentlich zu machen. 
Blöderweise bin ich jetzt manchmal schon so müde, dass da nicht viel Kraft bleibt. Neben Hund und Haushalt, Ausbildung und Freunden. 
Aber ich muss das hinkriegen. Ich weiß, dass ich sonst alt werde mit dem Gefühl, einem wichtigen Teil meinerselbst keinen Raum gewährt zu haben.

Donnerstag, 16. Juli 2015

Man kann nicht davon leben, aber... - Artikel schreiben für die Evangelische Zeitung

Seit Herbst 2014 schreibe ich in unregelmäßigen Abständen für die Evangelische Zeitung. Die Entlohnung ist dürftig, aber es macht mich stolz, meine Texte gelayoutet und gedruckt zu sehen. :) Dies war mein zweiter Text, den ich im Februar über zwei äußerst beeindruckende Frauen verfassen durfte.

BOYKOTT IST KEINE LÖSUNG

Es sind Frauen, Frauen und immer wieder die Frauen. Menschen, die sich mit der Frage nach fairen Produktionsbedingungen in der Textilindustrie beschäftigen, sind häufig Frauen und die Schicksale von Frauen treiben sie an, das zu tun, was sie tun. Ihr Ehrenamt ist zeit- und arbeitsintensiv und nicht immer stellen sich sichtbare Erfolge ein. Aber ihre Herzen schlagen im Takt eines Feminismus, der noch weiß, woher er kam und warum er heute als global gelebte Nächstenliebe mehr geboten ist denn je.


Warum sie sich für Kleidung einsetze, fragt Irmgard Busemann sich rethorisch selbst. Sie könne sich ja auch für eine faire Handyproduktion engagieren. Aber das sei ihr zu technisch. Kleidung ist etwas, das ihr richtig nahe ist. Die Pädagogin hat Recht, wenn sie sagt: „Niemand kann sagen: Ich brauche keine Kleidung!“ Gerade weil der Weg zurück in die Selbstversorgung für die meisten Mitteleuropäer eben keinen möglichen alternativen Lebensentwurf darstellt, entspricht der Ansatz der Kampagne für Saubere Kleidung viel mehr der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen hierzulande. Den Hamburgerinnen Irmgard Busemann und Mitstreiterin Eva Juergensen geht es ganz im Sinne der ursprünglich niederländischen CCC (Clean Clothes Campaign) nicht um einen Konsumstreik, weil sie wissen, dass ein Boykott den Arbeiterinnen, die Tausende von Kilometern von hier entfernt unsere Kleidung nähen, nicht helfen, sondern schaden würde.

Ein Mädchen in Südindien. Für fünf Jahre in die Schuldknechtschaft verkauft, um ihren Brautpreis in einer Textilfabrik selbst zu erarbeiten. Das Geld spart die Firma für sie an und zahlt sie am Ende der Zeit aus. Vermutlich wird sie es nicht so lange dort aushalten und verspielt damit ihr Anrecht auf ihren Lohn. Am Ende steht sie vor dem Nichts, denn auch ihre Familie ist enttäuscht. Natürlich hat sie einen Namen, aber wir kennen ihn nicht. Auch Frau Busemann und Frau Juergensen kennen nur vereinzelt Mädchen und Frauen persönlich, die die Kapagne zu Vorträgen nach Deutschland einlädt oder über die ihre Mitstreiterinnen, die vor Ort recherchieren, zurückgekehrt berichten. Das Entscheidende aber ist: Für die beiden hat auch ein für uns namenloses Mädchen am anderen Ende der Welt Würde und Stolz. Dass auch dieses Mädchen davon erfährt, dass sie Schikane und Schläge der Vorarbeiter nicht erdulden muss und wie sie sich dagegen zum Beispiel im Rahmen einer Gewerkschaft zur Wehr setzen kann, um die Bedingungen vor Ort für sich und ihre Kolleginnen zu verbessern, dafür setzen sich die beiden gemeinsam mit ihrer Hamburger Regionalgruppe der Kampagne für Saubere Kleidung seit 16 Jahren ein.

Vor dreißig Jahren war die heute pensionierte Pastorin Eva Juergensen Teil der Früchteboykottkampagne gegen das Apartheidsregime Südafrikas. Diesen Boykott initiierten schwarze Frauen in Südafrika und in vielen Kirchen griffen die Frauenwerke diese Initiative auf. Als sich der politische Wind mit der Wahl Mandelas 1994 drehte, war es auch der Evangelischen Kirche in Deutschland ein großes Anliegen, das Engagement dieser politisch bewegten Frauen nicht im Sande verlaufen zu lassen und ihnen ein neues Betätigungsfeld nahe zu bringen. Dies gelang in der Initiative für saubere Kleidung. „Wir wollten weiter für unterdrückte Frauen auf die Straße gehen“, erzählt die frühere Krankenhausseelsorgerin und fügt verschmitzt als Erklärung für ihre Motivation noch hinzu: „Ich gehe gern auf die Straße und auch ein bisschen frech in die Geschäfte und lege unsere Zettel in die ausgelegte Ware: ´100% ungerecht` oder ´Made in hell`.“ Auch Irmgard Busemann zeigt sich in ihrem Alltag streitbar und gibt auch anderen den Tipp: „Machen Sie sich vor Ihrem nächsten Einkauf schlau. Wir haben Heftchen, die Auskunft über die Arbeitsbedingungen geben, unter denen die einzelnen Marken produzieren. Und dann: Nerven Sie! Fragen Sie im Geschäft nach. Und wenn der Verkäufer unfreundlich wird, lassen Sie den Geschäftsführer holen.“

Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen sind nicht nur Eigenschaften, die beide Frauen im Alltag beweisen. Zwar positionierte sich auch Entwicklungsminister Gerd Müller im vergangenen Juli deutlich für ein Textillabel, das faire Arbeitsbedingungen anzeigt, doch wissen die beiden Hamburgerinnen aus der leidvollen Erfahrung der Kampagne, dass man zur Einführung eines solchen Gütesiegels mehr Ausdauer braucht, als ein Politiker sie in einer Legislaturperiode und darüber hinaus in der Regel aufbringen könne.

Trotz vieler ernüchternder Rückschläge wirken die beiden alles andere als verbittert. Sie wissen, dass ein Riese wie Tchibo nach Jahren der intensiven Kritik begonnen hat, sich auf den Weg zu machen. Die Menschen, die sie auf der Straße an ihrem Stand ansprechen, reagieren heute weniger verwirrt oder brüskiert angesichts der Unterstellug, ihre Kleidung sei schmutzig, als sie sich der Problematik der katastrophalen Arbeitsbedingungen bewusst sind. Früher waren die Menschen eher ansprechbar über den ökologischen Aspekt der Produktion. Doch Gerechtigkeit scheint als Kaufkriterium langsam nachzuziehen. Das macht auch den beiden CCC-Aktivistinnen Mut, weiterzumachen.

Junge Frauen sind sich nur noch teilweise dessen bewusst, was die Frauenaktivistinnen des 20. Jahrhunderts für sie geleistet haben. Gerade weil sie diese Formen der Unterdrückung nicht selbst erlebt haben, kann das Engagement starker Frauen wie Irmgard Busemann und Eva Juergensen für unterdrückte Menschen, ihnen die Notwendigkeit aufzeigen, die Fragen und Anfragen der Emanzipation auch heute noch und immer wieder zu stellen.

"Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmerhzig ist!"

Predigt für Luke-Enno Keitz` Taufgottesdienst

Barmherzig“ sollen wir sein! Na, klar! Kein Problem! Aber --- wie geht das eigentlich???
Das hat was mit Herz zu tun: Sollen wir immer einen roten Stift dabeihaben und überall Herzen draufmalen? Hm... Ich bin nicht überzeugt. Was heißt denn dieses „barm-“ davor? Früher konnten sich zwei Bettler treffen und sich gegenseitig fragen: „Na, heute schon gebarmt?“ Barmen hieß „Betteln“ bzw. „Jammern“.
Wenn jemand also „barm-herzig“ ist, hat er ein jammerndes Herz. Ein Herz, dass bittet und bettelt. Wann habt Ihr das letzte Mal bei den Abendnachrichten geweint? - Na, ist schon etwas her? Gründe genug gäbe es ja... Wenn ich ehrlich bin, schalte ich in letzter Zeit nach einem anstrengenden Tag eher weiter, weil ich es manchmal nicht aushalte, weil ich sonst anfangen müsste zu weinen.
Barmherzig sein heißt aber genau das: Unser Herz weich machen für andere Menschen. Stellt Euch vor: Der Normalzustand unser aller Herzen ist dieser >> Stein hochhalten. Und dann höre ich von den Flüchtlingen in der Unterkunft und dass es ihnen an so vielem fehlt. Da alle Menschen so einen Klumpen in ihrer Brust haben, wird niemand etwas sagen, wenn mich die Flüchtlinge nicht weiter kümmern. Und dann sehe ich an der Bushaltestelle eine Frau, die weint. Da alle Menschen so einen Klumpen in der Brust haben, kann ich die Frau getrost da sitzen lassen. Ich will sie nicht ansprechen. Mir ist das peinlich und ihr doch bestimmt auch. Und dann treffe ich in der Schule während der Pause auf den Blödmann aus der Parallelklasse, der mich sonst immer ärgert. Jetzt hockt er da und hält sich sein blutendes Knie. Da alle Menschen so einen Klumpen in der Brust haben, kann ich nicht nur weitergehen, sondern den Typen sogar noch auslachen. Und niemand würde mich verurteilen.
Habt Ihr an irgendeiner Stelle gedacht: „Das geht doch nicht!“? Dann hat Euer Herz gejammert. Dann habt Ihr für die Flüchtlinge, die Frau an der Bushaltestelle oder den Jungen mit dem blutenden Knie Euer Herz weich gemacht. Das ist Barmherzigkeit. Immer da, wo wir netter, herzlicher, offener oder liebevoller sind, als es die meisten erwarten würden, da sind wir barmherzig. Und natürlich ist es so, in einer Welt, in der alle Menschen so einen Klumpen als Herz in ihrer Brust haben, wird niemand meckern oder mich als unbarmherzig verurteilen, wenn ich weggehe, wegsehe, nicht helfe, … Aber da, wo nur einer ein weiches Herz hat, also barmherzig ist, gibt es ja plötzlich einen Maßstab. Wenn da einer ist, der liebt, obwohl er hassen dürfte/der hilft, obwohl der andere selbst schuld ist/der hinsieht, obwohl das kein schöner Anblick ist/der sich Zeit nimmt, obwohl er keine hat/..., merke ich plötzlich, dass ich ziemlich häufig sehr unbarmherzig bin/mein Herz hart lasse und nicht zulasse, dass mein Herz jammert: „Aber man müsste doch... Willst du nicht doch...?“ Und Jesus sagt seinen Freundinnen und Freunden genau DAS: „Lasst euer Herz jammern, denn da ist jemand, der sein Herz schon längst ganz weich gemacht hat für uns.“

Um- und Aufbrüche

Wir heiraten! Nächstes Jahr. Das ist so unfassbar schön, dass ich es nicht beschreiben kann. Wir trauen uns. Das ist kein dürftiges Wortspiel, sondern ganz ernst gemeint, denn wir haben beide gehörigen Respekt davor. Eigentlich merke ich dies auch jetzt wieder erst - jetzt. Immer habe ich vom Heiraten gefaselt und gequakt. Dann stimmt mein Liebster plötzlich ein ins Quaken und schenkt mir ein Besteck mit meinen Initialen, die ich erst hätte, wenn wir heirateten. Und mich - packte die Angst. Da hat der Beste mich mal wieder rechts überholt. Das kann er gut. :) 

Es ist gerade so vieles los. So vieles ist im Umbruch, aber auch im Aufbruch. Mein Plan, Pastorin zu werden, ist begraben. Wer weiß, ob er eines Tages wieder aufersteht. Jetzt gehe ich einen anderen Weg: ich werde Diakonin. Ich hatte die Idee ja schon vor zwei Jahren, als es sich so ätzend in die Länge zog mit dem Studienplatz für Theologie und ich außerdem merkte, dass mir das Arbeiten bei der EJS so Spaß machte. Nun ist es mein konkretes Ziel, in den kommenden zwei Jahren Nazareth-Diakonin zu werden. Parallel fange ich schon an, in Cornelius für die EJS zu arbeiten. Am 01.09. geht es los und ich freue mich riesig!

Wir haben Geburtstag gefeiert, planen Sommercampingurlaub mit Dachzelt und hatten für einen Tag, die verrückt-schöne Idee, ein Haus hier auf der Insel zu kaufen. Eigentlich ist genug los. Auch ohne Hochzeitspläne. Aber irgendwie passen die schon dazwischen. Wichtig genug ist es - uns beiden. :)